Am 5. August 1950 wurde diese Charta in Stuttgart auf einer Großkundgebung in Gegenwart von Mitgliedern der Bundesregierung, der Kirchen und der Parlamente von dem "Unbekannten Heimatvertriebenen" verkündet. Sie trägt die Unterschriften der Sprecher der Landsmannschaften der Vertriebenen sowie der Vorsitzenden des Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen und seiner Landesverbände. In allen Teilen Deutschlands wurde sie auf Großkundgebungen bestätigt:

 

Charta der deutschen Heimatvertriebenen
vom 5. August 1950

 

Im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen,
im Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zum christlich-abendländischen Kulturkreis,
im Bewußtsein ihres deutschen Volkstums und in der Erkenntnis der gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Völker
haben die erwählten Vertreter von Millionen Heimatvertriebenen nach reiflicher Überlegung und nach Prüfung ihres Gewissens beschlossen, dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit gegenüber eine

feierliche Erklärung

abzugeben, die die Pflichten und Rechte festlegt, welche die deutschen Heimatvertriebenen als ihr Grundgesetz und als unumgängliche Voraussetzung für die Herbeiführung eines freien und geeinten Europas ansehen.

1. Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.

2. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europa gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.

3. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.

Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten. Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, daß das

Recht auf die Heimat

als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird.

Solange dieses Recht für uns nicht verwirklicht ist, wollen wir aber nicht zur Untätigkeit verurteilt beiseite stehen, sondern in neuen, geläuterten Formen verständnisvollen und brüderlichen Zusammenlebens mit allen Gliedern unseres Volkes schaffen und wirken. Darum fordern und verlangen wir heute wie gestern:

1. Gleiches Recht als Staatsbürger nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit des Alltags.

2. Gerechte und sinnvolle Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk und eine ehrliche Durchführung dieses Grundsatzes.

3. Sinnvollen Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes.

4. Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas.

Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden.

Die Völker sollen handeln, wie es ihren christlichen Pflichten und ihrem Gewissen entspricht.

Die Völker müssen erkennen, daß das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen, wie aller Flüchtlinge, ein Weltproblem ist, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordert.

Wir rufen die Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.

 

Stuttgart, den 5. August 1950

 

 

 

In Englisch:

Charter of the German Expellees

Conscious of their responsibility before God and men, conscious of their affiliation to the Western Christian community, conscious of their German origin, and realizing the common task of all nations of Europe, the elected representatives of millions of expellees, after careful deliberation and after having searched their conscience, have resolved to make public a so-lemn declaration to the German people and to the entire world, defining both the duties and the rights which the German expellees consider their basic law and an indispensable pre-condition for the establishment of a free and united Europe.

1. We, the expellees, renounce all thought of revenge and retaliation. Our re-solution is solemn and sacred in memory of the infinite suffering brought upon mankind, particularly during the past decade.

2. We shall support with all our strength every endeavor directed towards the establishment of a united Europe in which the nations may live in freedom from fear and coercion.

3. We shall contribute, by hard and untiring work, to the reconstruction of Germany and Europe.

We have lost our homeland. The homeless are strangers on the face of the earth. God himself placed men in their native land. To separate man forcibly from his native land means to kill him in his mind.

We have suffered and experienced this fate. We therefore feel called upon to demand that the right to our native land be recognized and realized as one of the basic rights of man, granted to him by God.

However, as long as this right has not been materialized for us, we do not want to stand aside under imposed inactivity, but rather want to strive and work with all members of our nation in new, purified forms of brotherly and con-siderate cooperation.

For this reason we claim and demand, today as in the past:

1. Equal rights as citizens, not merely before the law but also in every-day life;

2. Just and reasonable distribution of the burdens of the last war among the en-tire German people and an honest application of this principle;

3. Reasonable integration of all professional groups of expellees into the life of the German people;

4. Incorporation of the German expellees into the reconstruction work for Europe.

The nations of the world should become sensitive of their co-responsibility for the fate of the expellees who have suffered most from the hardships of our times.

The nations should act in accordance with their duties and their conscience as Christians.

The nations must realize that the fate of the German expellees, just as that of all refugees, is a world problem the solution of which calls for the highest moral responsibility and for a commitment to tremendous effort.

We therefore call upon all nations and men of good will to join in the mutual endeavor to find a way out of guilt, misfortune, suffering, poverty and misery which will lead us all to a better future.